Von Leidenschaft dahingerafft

Das wohl populärste Stück Thomas Manns ist Thema der neuen Ausstellung im Museum Strauhof – eine kurzweilige Reise durch die Meta-Ebenen des Textes.

Katrin Schregenberger
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Aus Realität wird Fiktion: Der junge Baron Wladyslaw Moes (Mitte links) soll Mann als Vorbild für Tadzio gedient haben. (Bild: PD)

Aus Realität wird Fiktion: Der junge Baron Wladyslaw Moes (Mitte links) soll Mann als Vorbild für Tadzio gedient haben. (Bild: PD)

Im Oktober 1912 erschien Thomas Manns Novelle «Der Tod in Venedig». Seither wurde das Werk tausendfach rezipiert, verfilmt, inszeniert. Die Ausstellung «Wollust des Untergangs – Der Tod in Venedig» im Museum Strauhof lässt diese Bände füllende Rezeptionsgeschichte für einmal aber ausser acht. Stattdessen ergründet sie die Tiefen des Textes, untersucht die Metaphorik und deckt die Verwobenheit zwischen Literatur und Leben auf. Kuratiert hat die Ausstellung Kerstin Klein vom Buddenbrookhaus in Lübeck, wo die Schau letztes Jahr bereits zu sehen war. Für Zürich fügte Klein indes einen ergänzenden Teil hinzu: In zwei Räumen wird – passend zum Wagner-Jahr – das zwiespältige Verhältnis Manns zu Richard Wagner beleuchtet.

Verweilen und sinnieren

Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf die Reise, welche der Protagonist Gustav von Aschenbach in der Novelle unternimmt. Auch Besucher, welche sich die Novelle noch nicht zu Gemüte geführt haben, schwimmen hier aber nicht im Trockenen. Wie das Werk selber ist auch die Ausstellung in fünf Teile gegliedert, gleich dem Aufbau eines klassischen Dramas. Neben Textstellen, welche grossformatig aufgestellt sind, bestücken mit Bildern bedruckte Banner die Räume. Zu sehen sind Schauplätze der Erzählung, wie sie damals ausgesehen haben, Kunstwerke, welche Mann beeinflusst haben könnten, und Bilder, welche die dem Text inhärente Symbolik hervorheben. Eine fast experimentelle Atmosphäre verleihen den Räumen Videoprojektionen, welche die Gassen Venedigs in Handkamera-Optik einfangen. Es liegen überdies Originalhandschriften Manns aus dem Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich auf.

Es handelt sich also um eine Ausstellung zum Verweilen und Sinnieren. In jedem Raum passt sich die jeweilige Möblierung dem Thema an: So kann man die Sicht auf Venedigs Wasserlandschaft bald von einem Parkbänkchen, bald von einem komfortablen Sessel im Ancien-Régime-Design aus geniessen.

Stützt man sich auf die Fakten, ist die Geschichte von Gustav von Aschenbach schnell erzählt: Ein in die Jahre gekommener Schriftsteller beschliesst, in Venedig Ferien zu machen. Dort verliebt er sich in einen Knaben, was seinen Untergang bedeutet: Da er an Cholera erkrankt, endet sein Leben in Venedig. Liest man aber Manns Text, eröffnet sich einem ein raffiniertes Werk. Eindrücklich führt die Ausstellung dem Besucher die Meistergriffe Manns vor Augen. Da ist zum einen die Todessymbolik, welche den Text durchzieht: Immer wieder trifft von Aschenbach auf Figuren, welche an den mythologischen Gott Hermes erinnern – neben anderen Aufgaben fungiert Hermes in der Mythologie als Todesbote: Er führt die Todgeweihten in die Unterwelt.

Zum anderen sind da etliche mythologische Figuren, mit denen von Aschenbach den Knaben Tadzio, dem er verfallen ist, umschreibt: Eros, Dornauszieher, Dionysos. Alle sind erotisch aufgeladene Figuren, die das Thema der Knabenliebe umschreiben. Essenziell ist Dionysos. Wie man erfährt, war dies für die Zeit, in der Mann schrieb, nicht ungewöhnlich: Durch Nietzsches Idee des apollinischen, reinen und des dionysischen, leidenschaftlichen Lebens nämlich wurde der Dionysos-Kult um die Jahrhundertwende wiederbelebt.

Nagende Leidenschaft

Die Leidenschaft ist das zentrale Motiv der Novelle. Der Protagonist hat seine Passion ein Leben lang gezügelt, hat sie «erkältet». Doch nun bricht sie aus: Wie die Stadt Venedig, auf Holzpfählen erbaut, ständig von Wasser umspült wird – so nagt die Leidenschaft jetzt an den Prinzipien von Aschenbachs.

Zuletzt fügen sich zwei weitere Räume an, in denen Thomas Manns Faszination für die Werke Richard Wagners Thema wird. Hier kann sich der Besucher Wagners Meisterstücke anhören, in Manns Werken dem Meisterkomponisten nachspüren und Thomas Manns Beschäftigung mit Wagner durch sein ganzes Leben verfolgen. Auf einem Rollfilm sind Manns Tagebucheinträge über Wagner zu einem einzigen Bandwurm zusammengesetzt, der imposant die quantitative Dimension von Manns Wagner-Rezeption demonstriert.

«Es geht uns darum, dass man sich wieder mit dem Text selber auseinandersetzt», sagt die Kuratorin Kerstin Klein. Man begebe sich auf die Suche nach Wissen, welches in dem Buch eingewoben sei, aber heute unter Umständen nicht mehr verstanden werde. Obwohl einige Interpretationsmöglichkeiten dem Besucher nahegelegt würden, könne der Besucher aus dem dargebotenen Wissen auch ganz eigene Schlüsse ziehen. Für die Kuratorin Klein ist die Kernaussage der Novelle aber klar: «Es geht um Leidenschaft, welche in jedem von uns schlummert und welche jeden von uns mitreissen – oder dahinraffen – kann.» Die Fülle der Rezeption lässt jedenfalls darauf schliessen, dass dem Werk etwas Zeitloses eigen ist, das zu erforschen sich lohnt.

Zürich, Museum Strauhof, bis 8. September.